Ich versuche bei Bandnamen und Alben-Titeln häufig die Motivation dahinter zu erkennen. Bei PHAL:ANGST wird es schwierig. Dieses Wortspiel, und dafür halte ich es, zu entschlüsseln. Soll es auf eine Phalanx hinweisen oder steht es für Fall-Angst? Am Ende muss ich gestehen kann ich es nicht aufklären und befürchte, es gibt vielleicht sogar noch eine weitere Erläuterung.
Auch der Titel “Whiteout” könnte metaphorisch gemeint sein, denn bei einem Whiteout handelt es sich um eine meteorlogische, physikalische Naturerscheinung. Es ist die Helligkeit, welche bei schneebedecktem Boden für eine geringe Leuchtdichte bei gleichzeitig starker Kontrastverringerung (siehe Cover der MC, Foto von Kurt Prinz) dafür sorgt, dass der Beobachter nicht mehr zwischen Himmel und Boden unterscheiden kann.
Auch Konturen oder Schatten sind nicht mehr erkennbar, und der Beobachter hat das Gefühl, sich in einem völlig leeren, unendlich ausgedehnten grauen Raum zu befinden. Bei entsprechend veranlagten Personen kann das zu einer starken psychischen Belastung führen, die sich oft durch Beklemmung und Angstgefühle äußern. Physisch macht sich der Whiteout durch Desorientierung und Beeinträchtigung des Gleichgewichtssinns bemerkbar. Leider gibt es schon tragische Unfälle in Luft- und Seefahrt, die aus einer Whiteout-Situation entstanden sind. Also auch hier darf spekuliert werden.
“all what we see or seem is but a dream within a dream”
Edgar Allan Poe
“Whiteout” von PHAL:ANGST erschien am 13. Jänner, welcher ein Freitag war und deutlich macht, dass es sich hier um eine Band aus dem Nachbarland Österreich handelt. Aber keine Angst, statt der süßen Sachertorte oder Palatschinken, gibt es ein fantastisches Album einer sehr individuellen und eigenwilligen Band, die mit Süße nichts am Hut hat.
Das Quartett aus den Musikern ph – vox/harp/xylophone, al – guitar/vox, : – bass und angst – electronics stammt aus dem Umfeld von DIY-Punk und Hardcore. PHAL:ANGST haben sich aber über 16 Jahre immer weiter entwickelt und jetzt einen schwarz-funkelnden Platz zwischen Nine Inch Nails und Sunn O))).
Musikalisch bleiben PHAL:ANGST ihren eigenen, individuellen Signatur treu. Es gibt keine Songs oder Kompositionen im allgemein gültigen Sinn, sondern zäh-viskos fließende aurale Gemälde, breit angelegte, epische Sounds in 16:9 Cinematic, die sich durch alternierende Stimmungswechsel bewegen. In dieser melancholischen, klebrigen Sound-Hölle, findet man aber unerwartete Kleinode zarter Harmonie, Melodie und Romantik. Unwillkürlich denke ich an die herrlich atmosphärischen Bilder des Maler Caspar David Friedrich, der es wie kein Zweiter geschafft hat, diese Atmosphäre auf die Leinwand zu bannen.
PHAL:ANGST erinnern mich an die romantischen Gruselgeschichten von Edgar Allan Poe und H.P. Lovecraft. Vor meinem inneren Auge geistern Bilder und Stories der beiden Autoren und ich konstatiere, dass “Whiteout” ein sehr passender Soundtrack zu den Erzählungen wäre. Wie aus einem dunklen, zeit-entrückten Äther kommt die Stimme von ph. Zeitweise lässt ph den Gesang in den gutturalen Kehlgesang wechseln, was zusätzlich für starke, atmosphärische Elemente sorgt. Der Spannungsbogen von “Whiteout” ist sehr groß. Man findet Stücke, die zwischen fragilen, zarten Kompositionen wie “What rests mute in bright Corners” und sehr schroffen, metallischen Stücken wie “Unhinged” schwanken.
“We live on a peaceful island of cluelessness amid black seas of infinity, and we were not meant to sail these waters far.”
H.P. Lovecraft
Die MC kommt mit wunderschönen Artwork – wie gesagt der Fotograf ist Kurt Prinz – aus Fotos, die zum Teil aus dem 2016 veröffentlichten Band: “Sezierte Architektur” stammen. Das Tape enthält sechs reguläre Songs und zwei Remixe. Ein Remix vom Waliser Brian Williams alias Lustmord sowie der Ex-Swans Sängerin Jarboe. PHAL:ANGST berufen sich auf beide Künstler als fundamentale Einflüsse.
Vor allem die Lustmord-Version von “Unhinged” ist großartig. Der Song wird zerlegt, in der Grundstruktur erhalten, bekommt aber ein völlig neues, klaustrophobisches Gewand aus Drones und Dub-Beats verpasst. Allein das Stück ist den Erwerb von “Whiteout” wert. Aber auch die eigenen Songs der Wiener, loten auf dem mittlerweile fünften Album, die Grenzen zwischen Industrial und Post Rock aus. In dieser Gemengelage dominieren die kalten, dystopischen Elektrobeats von angst und die rhythmischen Bass-Linien von :.
So erschafft das Wiener Quartett eine eigene Nische mit ihren melancholischen, fast romantischen Harmonien, in die sie noch Akzente wie Harfe, Piano und Xylophon(!) geschickt verweben. Das lässt eine Sinfonie von Grautönen entstehen, die gleich dem Whiteout die Dinge nur schemenhaft erkennen lassen und unterschwellig ein beklemmendes Gefühl beim Hörer erzeugen.
Mit insgesamt acht Songs unterhalten mich PHAL:ANGST auf das Feinste mit ihrer sehr anspruchsvollen Vision von elektronischem Industrial und handgemachtem Post-Rock. Ich kann “Whiteout” nicht dem breiten Publikum empfehlen, denn weite Teile dieses Albums würde die Bevölkerung verunsichern. Die auralen Gratwanderer und Pioniere, die sich in akustisches Neuland trauen, sollten unbedingt zuschlagen und “Whiteout” zu ihrem Eigentum machen. Der kürzeste Weg führt hier lang.